Wednesday, December 10, 2008

Bitte nach Ihnen!

(Guest post by Dirk von Gehlen. Thanks Dirk. I enjoyed reading your story. And Thanks to Markus for organizing the Münchner Blog-Wichteln - Secret Santa.)

Wir müssen uns München als freundliche Stadt vorstellen. Wann immer ich an der U-Bahntüre stehe und auf den nächsten Halt warte, wird mir dies aufs Neue bewusst. Dabei rede ich nicht von diesen glänzenden blauen U-Bahnzügen, die neuerdings den Münchner Untergrund befahren. Ich spreche von den älteren Modellen; jenen, die scheinbar mit der Zeit ihre Farbe verloren haben oder vielleicht niemals eine andere kannten als dieses verblichene Rotbraun fürs Sitzpolster und das vergilbte Holzimitat für die Wände. Wann immer ich in einem dieser 70er-Jahren-Züge am Ausgang stehe, bemerke ich an den beiden silbernen Türgriffen, die noch aus Zeiten der Maßlosigkeit stammen müssen, diese besondere Münchner Freundlichkeit: Denn zwei Griffe bräuchten diese Türen gar nicht. Betätigt man den einen Hebel, öffnet er die andere Türseite automatisch mit. Man erweist dem nebenstehenden Mitfahrer, der ebenfalls an der nächsten Station aussteigen will, also eine unvermeidliche Freundlichkeit, wenn man demonstrativ nach dem Hebel greift und anzeigt: Ich öffne die Türe für dich mit. Bei Zügen neuerer Bauart wird diese Tätigkeit auf einen einzigen leuchtenden Knopf reduziert. Dieser Knopf bietet aber nur Platz für einen Finger, es ist also klar: Es kann nur einer der beiden Wartenden drücken und die Tür öffnen. Da es im Angesicht der beiden silbernen Griffe aber die Möglichkeit gibt, dass beide hebelten, entsteht – das bilde ich mir jedenfalls ein – eine unausgesprochene Übereinkunft zwischen den beiden Reisenden, die um diesen Umstand wissen. Wer frühzeitig nach dem Hebel greift, sagt dem anderen damit: „Lass mal gut sein, ich kümmere mich um die Tür." Nicht-Münchner werden das vermutlich albern finden, es ganz sicher nicht verstehen.
Vielleicht müssen wir uns die Blogs dieser Stadt wie Reisende in alten
U-Bahnmodellen im Münchner Untergrund vorstellen. Dann würde ich hiermit für Kerstin Klein und snowflakes & blackvampires nach dem silbernen Hebel greifen wollen: „Bitte nach Ihnen!"

Text: Dirk von Gehlen von Digitalen Notizen, Redaktionsleiter von jetzt.de (Süddeutsche Zeitung). Blog-Wichteln organisiert von Mawa von isarstadt.de. Mein Text erscheint bei isarstadt.de.


5 comments:

Anonymous said...

Nice! Why didn't I have the idea of arranging the participants' names in the shape of a Christmas tree on screen...?

Kerstin Klein said...

well, i got the idea from your post and i had to change only two names in the list, to have the tree shape again.

Anonymous said...

Die U-Bahn als Hort der Freundlichkeit - so habe ich das noch nie gesehen. Die Geschichte gibt mal wieder Anlass, sich die schönen kleinen Eigenheiten Münchens bewusst zu machen, die die Stadt so liebenswert machen.

Kerstin Klein said...

Musste heute den ganzen Tag beim U-Bahn fahren daran denken.

muclomo said...

Aber das sind doch nicht die ganz alten U-Bahnwagen (die auch noch unterwegs sind - mit der aussen sichtbaren Betätigungsmechanik). Bei denen müssen beide Türen einzeln betätigt werden !